Geocaching in Tschernobyl und Prypjat, Ukraine
Geocaching in Tschernobyl – eigentlich müssten wir richtig sagen „Geocaching in Tschernobyl und in Prypjat“, denn an beiden Orten finden sich Caches. Es sind aber zwei getrennte Orte.
Wenn man in die Zone kommt, dann ist Geocaching meist nicht der primäre Grund für die Anwesenheit. Es gibt hier Caches und es sind ganz besondere Caches. Aber nicht wegen der Rätsel oder der Verstecke. Wegen der Örtlichkeit, ja. Die Örtlichkeit ist es, weniger der Cache. Und auch die Fotomotive, die dieser Ort bietet.
Wir wollen Euch in dem Blogtext unsere Erfahrungen mitteilen, vielleicht ein paar Tipps geben und Euch Lust auf einen Besuch in der Zone machen – ggf. auch Angst nehmen.
Die Zone an sich
Oftmals werden die Begriffe Tschernobyl, Prypjat und Zone in einem Atemzug genannt. Sie hängen auch zusammen, sind jedoch ganz getrennte Orte.
In Tschernobyl hat sich am 26. April 1986 der Reaktorunfall ereignet. Tschernobyl war eine kleine Stadt, die am nächsten am Kernkraftwerk lag. Es gab öffentliche Einrichtungen wie Feuerwehr, Kantine für die Arbeiter, den Reaktor 1, 2, 3, 4. Reaktor 5 und 6 befanden sich zum Zeitpunkt des Unglücks im Bau.
Prypjat hingegen ist heute die Geisterstadt, in der der geneigte Geocacher so manchen Lostplace finden kann. Bekannte Bilder sind das Riesenrad, der Autoscooter oder auch der Kindergarten. Gegründet wurde Prypjat erst 1970 als eine „Vorzeigestadt“ für die Arbeiter im Kernkraftwerk. In Prypjat wohnten zum Zeitpunkt der Katastrophe 1986 knapp 50.000 Menschen, darunter 15.500 Kinder. Die Stadt sollte mit dem Bau der Reaktor 5 und 6 weiter wachsen.
„Die Zone“ ist ein Oberbegriff für einen Radius von 30 km rund um den Reaktor, die heute bewacht ist und in die man nur unter bestimmten Voraussetzungen kommt. Der innere Kreis ist eine 10km-Zone, in die es bei der Einfahrt nochmals Kontrollen gibt.
Geocaching in Tschernobyl – die Planung eines Besuchs
Wenn man einen Besuch in der Zone vor hat, dann sollte man sich nicht darauf verlassen, über die Hotelrezeption am Tag des Besuches noch 2 Plätzchen zu bekommen. Wer mit mehr als 2 Personen anreist – und auch jeder andere – tut gut daran, sich im Vorfeld um die Tour zu kümmern.
Das geht natürlich ganz einfach dank Internet. Wer als Location z.B. bei Get your Guide „Kiew“ eingibt, bekommt eine Reihe von Vorschlägen zum Besuch in der Zone. Und hier liegt jetzt die Kunst, den „richtigen“ bzw. „passenden“ Anbieter auszusuchen. Nicht nur im Preis unterscheiden sich die Leistungen.
Treffpunkt
Allen Anbietern gemeinsam ist ein Treffpunkt am Hauptbahnhof von Kiew. Der Vorteil: hier kommt man von jedem Hotel aus ganz gut hin. Der Nachteil: Man sitzt in einem Bus mit vielen anderen Touristen, es wird seltenst Deutsch, aber auch nicht immer Englisch gesprochen. UND: es werden natürlich keine Cache-Stopps eingelegt. Sicher kann man hier auch den ein oder anderen Cache mitnehmen, in einem Bus voller Geocacher ist es jedoch deutlich einfacher. Ab einer Gruppengröße von 15-20 Personen rentiert es sich durchaus, eine Agentur zu suchen, die eine extra Tour anbietet. Mit einer Gruppe wird man auch geschlossen am Hotel abgeholt und wieder zurück gebracht.
Agenturen
Davon gibt es einige auf dem Markt. Ich war schon mit einer der „üblichen“ Agenturen in einem bunt gemischten Bus unterwegs. Für unsere Cacher-Touren wählen wir bisher immer Helianth-Tours. Immer, d.h. wir sind super zufrieden und warum sollten wir dann etwas ändern? Sie bieten einen fairen Preis für gute Leistungen. Die Leistung besteht eigentlich aus einer vollen Organisation. Von der Fahrt bis an den Rand der Zone, der vorherigen Anmeldung der Gruppe, der Organisation eines Guides (siehe unten), den Kontrollen und der Rückfahrt.
Man kann selbstverständlich auch mit dem eigenen PKW oder mit dem Mietwagen (vorher absprechen! Aber in der Regel kein Problem) zur Zone fahren.
Guide
Ja, trotz einer Agentur, die einem an den Rand der Zone bringt, benötigt man noch einen lokalen Guide. Ein vollkommen freies Bewegen in der Zone ist NICHT möglich. Ihr könnt also nicht reinfahren und dann nach Eurem Gusto anhalten, aussteigen, umherlaufen, cachen. Zum Glück liegen die Caches meist aber an so markanten Punkten, dass man schon zu einer großen Menge sowieso mit der „normalen“ Führung hinkommt. Dieser Guide muss zertifiziert und zugelassen sein. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: entweder die Agentur hat sich spezialisiert und hat selbst ausgebildete Guides. Das könnt Ihr erkennen, wenn Ihr in der Zone einem kleinen Bus (9-Sitzer) begegnet und der Guide mit Jeans und Pulli bekleidet ist. Große Agenturen oder auch Privatpersonen wählen die lokalen Guides, die an dem Checkpoint zusteigen. Man erkennt diese meist an größeren Gruppen und einem etwas „militärischem Aussehen“ – Tarnfleckenhose und -jacke, feste Stiefel usw. Und wie immer kann man so oder so Glück oder auch mal Pech haben. Wobei wir bisher immer tolle Guides hatten – natürlich muss man sich auf den Guide einlassen, insbesondere seinen Anweisungen folgen und die politische Färbung als solche auch wahrnehmen. Dann lässt es sich damit sehr gut leben.
Mietwagen
Wie bereits erwähnt, kann man natürlich von Kiew auch mit dem Mietwagen bis an den Rand der Zone fahren. Verfahren kann man sich nicht, direkt an der Kontrollstation liegt neuerdings ein Cache. Und eigentlich führt nur eine Straße auf die Zone zu. An dem Checkpoint zur 30km-Zone muss dann aber ein lokaler Guide gebucht sein. Vorbereitung ist also auch hier notwendig. Dieser braucht entweder Platz in dem Auto oder man kann auch in Kleinbusse aus der Zone umsteigen. Dies ist sicher mit einer Gebühr verbunden und sollte vorher bestellt sein. Da erschien uns bisher die Agentur aus Kiew einfacher.
Zeit in der Zone
Für die Zeit, die man in der Zone zur Verfügung hat, gibt es eine ganz einfache Regel, die für alle Agenturen, für alle Privatpersonen, einfach für alle Besucher gilt: um 18.00 Uhr müssen alle draußen sein! Mit Ausnahme derjenigen, die eine Übernachtung in der Zone gebucht haben.
Von Kiew bis zum Checkpoint an der 30 km-Zone sind es ca. 130 km, für die man rund 2 Stunden benötigt. Wenn man also morgens um 8.00 Uhr am Hotel startet, dann wird man ca. 10.30 Uhr in der Zone sein.
2-Tages-Besuch oder auch länger
Es gibt einige spezialisierte Anbieter, die eine Übernachtung in der Zone anbieten. Sogar bis zu 7 Tagen soll man in der Zone verbleiben können.
Die Besonderheit ist, dass man eben nicht um 18 Uhr das Gelände verlassen muss, sondern in einem Hotel in der Zone übernachtet. Lebensmittel kann man in einem kleinen Supermarkt einkaufen.
Wer allerdings glaubt, man könnte abends mit der Taschenlampe die Gebäude in Prypjat erkunden, der täuscht sich. Auch bei dieser Tour ist ein freies Bewegen in der Zone nicht möglich, zur Sperrstunde wird man im Hotel eingeschlossen. Es gibt auch nicht mehr zu besichtigen, als bei der 1-Tages-Tour, lediglich fährt man später los und hat etwas mehr Zeit an den einzelnen Stellen. Bisher fanden wir dies noch nie notwendig und haben nur Tagestouren unternommen.
Geocaches in der Zone
Besondere Caches oder besondere Cachebehälter wird man hier vergeblich suchen. Die Besonderheit ist einfach der Ort. Meist sind es kleine Filmdöslein oder Pipettendosen, die man hier finden kann. Die Verstecke sind i.d.R. auch nicht schwer zu finden, es soll ja auch nicht zu auffällig sein.
Ausrüstung
Noch etwas zur „Ausrüstung“ für den Tag in der Zone.
Wichtig ist, dass alle Teilnehmer ihren Pass dabei haben. Und zwar den Reisepass, den sie auch bei der Buchung angegeben haben. Die Gruppe ist – zumindest bei unserer Agentur Helianth – immer in der Zone angemeldet. Am Morgen kommt ein spezieller Mensch in das Hotel und kontrolliert die hinterlegte Liste mit den Pässen und den dazugehörigen Personen. Wir finden das Verfahren sehr gut, sollte sich hier ein Zahlendreher o.ä. eingeschlichen haben, hat es noch genügend Zeit, dem Checkpoint an der 30km-Grenze dies mitzuteilen. Das würde dann der Kontrolleur für uns übernehmen. Es gibt auch Agenturen, da wird dies erst an der Grenze gemacht, was bei einem kleinen Fehler schon zu einer verlängerten Wartezeit führt. Die Gebühr für diesen „Zusatzkontrolleur“, den man nur im Hotel in Kiew sieht und dann nicht wieder, hält sich in Grenzen und ist bezahlbar.
Ab dem Checkpoint benötigt man auch lange Hose, lange Armbekleidung und feste Schuhe. Gerade bei warmem Wetter geht die lange Armbekleidung schon mal unter. Es gibt am Checkpoint Pullover zu kaufen und auch der Guide hat die ein oder andere Jacke zur Verfügung. Wer das nicht mag, der bringst selbst eine Jacke mit.
Da wir den Bus für den ganzen Tag für uns haben – und das ist bei jeder der genannten Variationen so – kann ein Rucksack auch hier verbleiben.
Im Rucksack sollte man auch ausreichend Essen und Trinken dabei haben. Wenn man nicht das Mittagessen in der Zone gewählt hat – was durchaus mehr als 1 Stunde der Zeit verschlingt -, dann gibt es keine weiteren Einkaufsmöglichkeiten. Also, in Kiew bereits eindecken. Die Supermärkte sind richtig günstig. Picknick darf in der Zone nicht gemacht werden. D.h. Nahrungsaufnahme in Form von Essen und Trinken geht nur im Bus. Da man aber immer wieder von Station zu Station fährt, ist dies kein Problem.
Informationen
Hier an „ungefärbte“ Informationen zu dem Reaktorunfall und den anschließenden Tagen zu kommen, ist nicht immer einfach. Zur Vorbereitung zuhause bietet youtube einige solide Beiträge. „Die wahre Geschichte von Tschernobyl“ bietet einen ersten guten Überblick, auch wenn der Filmbeitrag heute veraltet ist.
Die Busfahrt nach Tschernobyl wird bei fast allen Anbietern begleitet von einem Filmbeitrag, der im Bus gezeigt werden „muss“. Er ist als Einstimmung auf den Tag gut geeignet und die knapp 2stündige Busfahrt sollte durchaus für das Zuschauen und Zuhören genutzt werden.
Dann hat natürlich die Organisation, mit der man sich auf den Weg macht Informationen parat und der locale Guide, der später vor Ort die Gruppe begleitet erzählt im Laufe des Tages sehr viel zu den Örtlichkeiten und was hier stattgefunden hat.
Man trifft in Tschernobyl/Prypjat selten auf Schilder, die einem etwas erklären. Alles setzt auf den Guide, der eindrucksvoll die Orte und die Abläufe beschreiben kann. Man ist hier in keinem Musum und hat auch zu keiner Minute das Gefühl davon. Viel mehr tritt spätestens in der Stadt Prypjat ein Lostplacefeeling auf, wo man die Ursache hierfür schon mal vergißt. Und im nächsten Moment hat man Gänsehaut, wenn der Guide von der Evakuierung des Kindergartens erzählt.
Veränderungen
Im März 2017 betrat ich zum ersten Mal die Zone, meine fünfte Tour bereite ich gerade vor. Natürlich verändert sich die Natur, das könnt Ihr Euch vorstellen. Grün wächst und erobert sich Flächen zurück. Aber erschreckender/ungewöhnlicher/erstaunlicher finde ich, wie sich Gebäude und Verfahren hier verändern.
Bei meinem ersten Besuch war der Reaktor von EINEM Sarkophag umgeben. Klar, heute ist er schöner, glänzt silberner und sieht von weiter Entfernung sehr harmlos aus. Keiner der Geocacher beim Foto am Virtual macht sich Gedanken, wie nahe er da eigentlich dran steht. Bei meinem ersten Besuch war hier aber richtig Leben. Viele, viele Arbeiter in Blaumännern waren auf dem Gelände, der Reakter 1,2 und 3 liefen, waren in Betrieb. Es hat mich damals erstaunt, wie viele Firmen hier in unmittelbarer Nähe ansässig sind. Heute sind die ersten drei Reaktoren still gelegt, es ist ziemlich leise geworden auf den Straßen rund um Reaktor 4.
Auch in Prypjat wird es ruhiger. Der Keller des Krankenhauses ist versiegelt, einige Häuser sind als einsturzgefährdet gekennzeichnet und können nicht mehr betreten werden. Der Sicherheitsdienst dreht seine Runden. Keine gute Zone mehr für Urbexer und andere Gruppen (es gibt noch Hobbies außerhalb von Geocaching). Sicherlich sinnvoll. Für Geocacher wurden die Regeln hingegen lockerer. Es werden immer mehr Caches in der Zone hinterlassen. Und scheinbar sind jetzt auch Events hier möglich. Das ist mir zwar alleine aufgrund des Eintrittspreises und der Formalitäten nicht eingängig, aber wir haben Events auf der Geocaching-Landkarte gesehen, die gepublisht waren. Ob wir das jetzt tun würden – die Zeit an dem Tag ist sowieso knapp. Dann lieber noch einen Cache im Pianoladen oder im Krankenhaus besucht. Genügend tolle Plätze zum Besichtigen und Fotografieren gibt es auf jeden Fall.
Wenn man öfters kommt, sieht man die Veränderungen deutlich. Auf der anderen Seite hat die Ukraine hier ein großes Tourismuspotential entdeckt und es werden immer mehr Örtlichkeiten zur Besichtigung freigegeben. So z.B. die Radarstation, die bei meinem ersten Besuch tatsächlich noch unter „Geheimhaltung“ lief. Und dennoch: Beim letzten Besuch kam mit dem Guide die Diskussion auf, wie lange das hier noch so von uns besucht werden kann. Der Zahn der Zeit nagt an leerstehenden Gebäuden besonders….
Fazit
Trotz vieler Gegenstimmen wegen Gesundheit und Strahlung halte ich einen Besuch in der Zone immer noch für ein besonderes Erlebnis. Nicht nur wegen der vielen Lostplaces. Der Tag hinterlässt auf jeden Fall in meinen Gruppen immer eine besondere Stimmung. Leicht bedrückt, viele Diskussionen entstehen. Könnte es heute nochmals genauso passieren? Was wäre heute anders? Gerade Social Media spielt auch hier eine große Rolle. Im Laufe des Tages fühlt man immer mit den Menschen mit, die hier 1986 evakuiert wurden, Schäden für ihr Leben nahmen oder auch heute noch glauben, dass eigentlich gar nichts geschehen ist. Ein Besuch in der Zone von Tschernobyl und Prypjat verändert bei jedem Besucher etwas. Auf dass wir daraus lernen!
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